Nach dem ich halb sieb wieder aufgewacht bin, konnte ich noch gemütlich duschen und Kaffee machen. Soweit war es ganz angenehm. Dann kam Herr Dingsda.
Er sagte an, er wolle den Wasserzähler wechseln. So werkelte also vor sich hin, ich saß gemütlich am Computer. Die Welt war schön. Das Einhorn grasste friedlich hinterm Haus. Nach einer Viertelstunde werkeln kam er zu mir, hielt ein Formular hin, dass ich bitte unterschreiben möge. Er wies mich darauf hin, dass er das Absperrventil nicht wechseln könnte, obwohl das kaputt sei.
Er wieder raus. Ich beginne alles zusammen zu packen und ins Büro aufzubrechen.
Da klingelt es noch mal.
Vor der Tür: Noch mal zwei Monteure. War denn der Herr Dingsda schon da?
. Ich so: Ja
. Darauf guckten sich die beiden vielsagend und leicht genervt an. Wir wechseln das Absperrventil
. Ich gucke mein imaginäres Einhorn leicht irritiert an, weil sonst keiner zum irritierten Angucken da ist und lasse die beiden hinein.
Beide legen los und Nr. 2 geht raus, weil er den Herr Dingsda im Haus suchen will. Nr. 1 werkelt weiter vor sich hin. Ich beginne mich zu langweilen. Schließlich ist mein Laptop längst eingepackt. Ich zappe ständig durch die Kanäle und das Einhorn ist schon vollkommen genervt davon.
Nr. 2 kommt irgendwann wieder und teilt stolz mit, der Herr Dingsda käme dann noch mal runter.
Nr. 1 und Nr. 2 werkeln insgesamt 20 min lang rum. Schließlich verabschieden sie sich. Unterschreiben muss ich nix.
Noch mal 10min später…. Der Herr Dingsda klingelt! Etwas betreten teilt er mir mit, er wolle noch mal an der Wasseruhr rumfummeln. Dem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, hat er sich eingemacht, die Hose sieht aber trocken aus. Da das Einhorn heute mit Haushaltskram dran ist, holt es sicherheitshalber schon mal den Mopp für alle Fälle.
Der Herr Dingsda dreht irgendwas, mal quietscht, mal zirpt es. Aber schiessen tut keiner. 5 Minuten später schließlich verkündet er fertig zu sein. Ich verabschiede ihn. Das Einhorn kümmert sich längst wieder um die Schnittblumen im Hof und ich rüstete mich, um ins Büro zu starten.
Sie, der Leser, hat es einfach. Sie blättern das Buch auf, schlagen die Schutzseite um, die Titelei findet beim ersten Lesen keine Beachtung, die Danksagung für Ihnen unbekannte Menschen nehmen Sie vielleicht interessiert zur Kenntnis, das mögliche Vorwort wird übersprungen.
Und dann beginnt sie: Die Geschichte. Das ist praktisch. Buchhandlungen würden Aktenarchiven gleichen, wenn Literatur eine Folge von aufeinander folgenden und auf einander aufbauenden Loseblattsammlungen wären, sagen wir, wie Steuerratgeber.
Die eigene Geburt ist die erste Seite der eigenen Geschichte. Aber nicht jene des Buches selbst, welches die Geschichte enthält. Wir können das Vorwort als die neun Monate ansetzen, in denen Ihre Mutter schwanger war; die Danksagung enspricht den Akt Ihrer Zeugung; und die Titelei die Zeit, in denen Ihre Eltern noch mehr oder weniger auf getrennten Wegen gingen. Die Schutzseite gleicht der grauen Vorzeit Ihrer Großeltern und Urgroßeltern und Ur-Urgroßeltern.
Sie können diese Seiten heraus reisen. Das Buch würde zerfleddert und geschändet. Ihre Geschichte wäre zwar noch intakt, aber Sie wüssten dann nicht einmal mehr, wie Ihre Geschichte heisst und wer sie geschrieben hat, wenn Sie nicht auf einen unversehrten Schutzeinschlag und Einband achten.
Ein Autor sieht das Buch noch nicht. Er kann keine erste Seite einfach umschlagen. Für ihn beginnt die Geschichte notgedrungen irgendwo anders. Schlimmer noch, er muss aus den unendlichen Geschichten eine auswählen, über die er schreiben will.
Beginnen wir mit einem grünen T-Shirt. Einem grünen T-Shirt, dass er unserem Protagonisten anzieht. Per Münzwurf entscheiden wir, dass es ein Mann sein soll. Damit halbieren wir die Anzahl der unendlichen Geschichten, die wir erzählen können.
Nun würde kein Mann mit Geschmack ein grünes T-Shirt kaufen, geschweige denn anziehen. Also muss es dafür einen Grund geben. Der Grund oder die Art des Erwerbs kann zu einer Geschichte führen. Möglicherweise das Geschenk der geschmacksverwirrten Freundin – was sofort ein bezeichnendes Licht auch auf das Aussehen unseren Protagonisten werfen könnte. Oder es stammt aus einer Kleiderspende, womit wir die finanziellen und sonstigen Lebensumstände bereits deutlich festlegen würde.
Bleibt die Frage, warum er es ausgerechnet jetzt tragen soll. Viele Familien-Dramen beginnen mit kaputten Waschmaschinen und vollen Schmutzwäsche- Körben, warum nicht auch diese – dann dichten wir unserem Protagonisten aber auch sofort eine Familie an den Hals. Oder er zieht gerade um, und weil er eben doch stilbewusst ist, zieht er genau dieses an. Denn das darf verdrecken und verschleissen beim Möbelschleppen.
Ist er Raucher oder nicht? Nach neuer Gesetzeslage darf nicht überall geraucht werden. Wichtige Szenen müssen bei einem Raucher aber von Zigarettenqualm begleitet werden. Damit fallen romantisch-dramatische Besuche im Restaurant für eine Raucher aus. Also Nichtraucher?
Auf der anderen Seite ist eine Zigarette auch ein unglaublich mächtiges Symbol. Eine Zigarette eignet sich um einen Dialog zu beginnen – und – eine lange Nacht abzuschliessen. Machen wir unserem Protagonisten zum Raucher! Zum Nichtraucher kann er während der Geschichte noch werden, dazu reicht ein simpler Satz.
Allein aus der Konstellation grünes T-Shirt und Zigarette können wir eine große Zahl an Geschichten würfeln und kombinieren. Doch wenn wir unseren Protagonisten in den westlichen Kulturkreis verorten, benötigen wir noch mehr Accessoires. Und das sollten wir, es macht uns die Arbeit ausnahmsweise einfacher. Zumindest eine Unterhose sollten wir ihm noch geben. Und hier fangen wieder die Schwierigkeiten wie beim T-Shirt an! Schnitt, Form, Farbe, Pflegezustand, Herkunft! Soviel festzulegen. Je mehr wir aber festlegen, desto vorhersehbarer wird die Geschichte. Erzählen wir dem Leser, welche Unterhose er trägt, kann er den Verlauf der Geschichte möglicherweise erraten, langweilt sich und legt unsere Geschichte nach zwei Seiten weg. Machen wir also einen scharfen Strich mit dem Schwert. Nein, wir werden nicht den Unterleib unseres Protagonisten abschneiden. Ich hoffe Feministen verzeihen mir. Aber wir legen fest, dass die Unterhose für unsere Geschichte keine Rolle spielen darf.
Mit 16 beschließt kein künstlerisch involvierter Jugendlicher Werbetexter, Gebrauchsgrafiker oder schnöder Produktdesigner zu werden. Die Seele fühlt sich berufen zum Zeichner, Dichter und Bildhauer. So schreibt sich unser Eleve an der Kunsthochschule ein und schon hier wird die Kunst zur Hausaufgabe und Seminarprojekt, zum Ausdruck der benoteten Leistungs- statt bohemehaften Leidensfähigkeit. Und ist das Studium vorbei, kündigen auch die einstigen elterlichen Mäzene die Freundschaft auf und unser längst innerlich verhärtetes Sensiblchen muss von der Welt der Kunst in die Welt der Kreativen. Jagt von Praktikum zu Praktikum in steter Hoffnung auf eine bezahlte Tätigkeit. Der Mut des jugendlichen Leichtsinn, die hoffnungsvolle Suche nach der Kunst weicht vor der Feigheit der Unterordnung, die Suche nach der künstlerischem Antwort weicht zurück vor dem kreativ grell schreienden Werbeplakat. Der Lebenslauf vernichtet das Werksverzeichnis.
Vollkommen überraschend kam es nicht. Ich spürte ich bereits in den letzten Tagen, dass es langsam wieder soweit sein müsste. Und tatsächlich, ich greife hinein und unter den losen Prospekten ertasten die Fingerkuppe etwas Massives. Ich zog den Stapel Papier heraus und entblätterte ihn von den umwallenden Werbeblättchen. Und ich hielt den neuen Ikea-Katalog in meinen Händen. Ich schwinge mich die zwei Treppen zu meiner Wohnung hoch, lasse die Tasche falle, und noch während ich die Jacke ausziehe, aber die Schuhe noch anhabe, schlage ich ihn an einer zufälligen Stelle auf. Ich betrachte, lese und betrachte wieder. Und ich bin gebannt und mag es zuerst nicht für möglich zu halten. Irgendwo muss in diesem großen Apparat jemand eine Idee gehabt haben. Und dann hatte sie oder er nicht nur den Mut diese Idee auch umsetzen zu wollen, sondern auch genug Geschick gehabt haben, sie unauffällige durch die Instanzen zu bringen. Es gibt auch die Möglichkeit, dass es ein gezielter Schachzug war, aber zum einen würde dies der Sache die Romantik nehmen. Zum anderen ist die Sache zu unauffällig, nur dem kritischem Betrachter zugänglich, schlicht das ganze Gegenteil dessen, was Kreative erreichen wollen, wenn sie zum Mittel der Selbstironie greifen. Neugierig? Das Werk findet sich auf Seite 233.
Auf dem ersten Blick sieht es recht belanglos aus. Drei Minibüro-Kombinationen, je mit Schreibtisch, Stuhl und Regal, je unterschiedliche Preisschienen. Aber spätestens die Textüberschriften verraten den subversiven Kontext.
„Mehr Platz zum Dichten und Denken“ - das ist das billigste Angebot, Tisch und Schreibtisch aus unlackiertem Holz. Wer soll daran Platz nehmen? Wir sehen den wollbärtigen Philosophiestudenten vor uns, oder den unentdeckten Literaten. Das unbehandelte Holz erinnert sie an ihr rauhes Leben, an die ungnädige Gesellschaft, es ist das Gegenstück zum glatten, polierten Mainstreams. Und zugleich bildet diese Kombination jenen Ikea-Kunden ab, der sich Ikea gerade so leisten kann, weil die Eltern doch einmal gnädig sind und das Kind sich weigert jene praktischen Fliesentische aus dem billigen Einrichtungshaus zu akzeptieren.
Zentrales Element der zweiten Kombination ist die Schublade: „Mehr Schubladen an Ort und Stelle“. Ja, wie sehen wir gerade hier den kleinen, provinziellen Spießbürger vor uns! Den Sachbearbeiter und den Angestellten, die an ihrem Schreibtisch in den Versicherungsunternehmen und Verwaltungen die Welt in ihre Vorschriften einpassen. Nein, Eiche rustikal war früher, gerade der Kleinbürger versucht sich zu tarnen und entlarvt sich gerade durch seine Tarnung. Gerade die kleinprovenzielle Frau erkennen sie an ihren kurzen Haaren mit ihren bunten, peppigen Strähnchen. Sie betrachtet sich als Punk und jung, als unspiessig und teilt doch jeden in ihre Schubladen ein. Die Buntheit der Schubladen sind auch nur neckisches Zierelement in dieser Tarnung. Dass ihr Rollcontainer keine Bücher aufnehmen kann, stört sie nicht, und die Rollen erlaubt es ihre Schubladen mit zunehmen, wohin immer es sie auch verschlagen mag.
Und schließlich der Kreative: „Mehr Stauraum für gute Ideen“. Ja, Ideen müssen verstaut werden! Denn irgendwann wird der Kreative genug Geld verdient haben und kündigen können. Und dann, dann! Dann wird er mit seinen Ideen Kunst schaffen. Bis dahin braucht er diese schwarz-weiße Kombination. Das weiße Regal mit seinen darin gelagerten Ideen, jener seelige Ort des höheren Strebens, die ständige Erinnerung an den inneren Künstler. Der Tisch hingegen, mit seiner schwarzen Tischplatte mahnt an die dunkle Seite des Lebens - das Brot, das Geld, die Arbeit des Kreativen zum Zwecke der Verführung und der Kostenoptimierung. Und das es sich um die teuerste Kombination handelt versteht sich beim Kreativen von selbst, schließlich muss er sich im Materiellen vom Pöbel abheben, wenn er es schon nicht geistig schafft.
Bewundern wir an dieser Stelle jenem unbekannten Künstler, der die Idee hatte, die Idee durchbrachte, die Texte entwarf, die richtigen Möbel heraussuchte und kombinierte, schließlich diese Kombinationen fotografieren lies und vielleicht verhinderte, dass im letzten Moment das Layout umgestellt wurde.
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